Zur schönen Aussicht (Ödön von Horváth)

Zur schönen Aussicht (Ödön von Horváth)

Bild: Jörg Ratjen als Max in Zur Schönen Aussicht, Ö. v. Horváth, Karlsruhe

aus dem 1. Akt:
STASSER
Im Augenblick, Herr Generaldirektor!
ab.
MÜLLER
Was bin ich?
ADA zu Karl:
Allons, Ben Hur!
KARL
Was man alles werden kann!
ADA
Wie du willst, Herkules!
Es dämmert.
MÜLLER
Was bin ich?
Ada zieht sich den Mantel aus und wieder an; pudert sich die Nase,
schminkt sich die Lippen.
KARL
Laß das! Los! Die Sonne ist weg – du bist schon schön!
ADA
Wird es regnen?
KARL
Es wird Nacht.
ADA
So? Dann wollen wir nunmehr bis zur Kapelle — ich liebe diese Spätgotik.
Zu Müller:
Bleiben Herr Generaldirektor die Nacht über?
MÜLLER verwirrt:
Was für Nacht?
ADA
Charmant! Dies Kind im Manne – Au revoir, Herr Generaldirektor!
Ab mit Karl.
MÜLLER sieht ihr nach; zu Max:
Wohin reiten denn die?
MAX
Die reitet nicht nur, die fährt auch. Automobil.
MÜLLER
Mit der Peitsche?
MAX
Auch das, Herr Generaldirektor.
Er blickt suchend umher.
MÜLLER
Was bin ich?
MAX
Generaldirektor.
MÜLLER
Ich bin kein Generaldirektor! Ich bin Müller, Vertreter der Firma Hergt und Sohn –
MAX unterbricht ihn:
Aber bei Ihren Fähigkeiten könnten Sie jederzeit Generaldirektor sein!
Müller setzt sich.
Natürlich! Aber natürlich!
Stille.

Bild: Anne Schmidt-Krayer + Jörg Ratjen als Christine + Max in Zur Schönen Aussicht, Ö. v. Horváth, Karlsruhe

aus dem 2. Akt:
KARL packt Christine am Handgelenk.
EMANUEL
Lassen Sie die Dame los!
KARL reißt sie an sich und küßt sie:
Ha du!
Strasser erscheint Hintergrunde. Emanuel nickt ihm grinsend zu und applaudiert lautlos.
STRASSER räuspert sich; tremoliert erschüttert:
Christine! Christine!
Christine reißt sich verzweifelt los; wankt.
EMANUEL zu Karl:
Sie sind entlassen, Sie Subjekt!
KARL zuckt die Achsel:
Man darf doch wohl noch eine alte Bekannte begrüßen.
Christine schreit gellend auf.
EMANUEL überschreit sich:
Hinfort! Verlogener Bandit!
KARL
Hoho! Hoho!
STRASSER stützt sich auf den Tisch:
Christine – Christine –
KARL
Die Erotik, Sie Herr Baron, kennt keinen Standesunterschied, vorausgesetzt, daß ein Auto vorhanden ist. Da wiegen andere Unterschiede! Solider Brustumfang und so! Ha, Chrysantheme?
Max tritt von links mit einem riesigen Kunstchrysanthemenstrauß rasch ein und eilt auf Christine zu. Christine bricht lautlos zusammen; fällt ohnmächtig vornüber. Alle starren auf sie unbeweglich.
Stille.
MÜLLER kommt aus dem Hintergrunde; überblickt überrascht die Lage; unterdrückt:
Na was, was hat sie denn?
STRASSER hebt den Arm:
Pst!
Stille.
EMANUEL leise:
Still, nur still – Es gibt ja auch Simulanten – bekanntlich.
Stille.
EMANUEL flüstert zu Karl:
Abgesehen davon: sie heißt doch nicht Chrysantheme, Herr, sie heißt Christine.
KARL brummt:
Blume bleibt Blume.
MAX hat sich verhört; schwätzt nervös vor sich hin:
Chrysantheme bleibt Chrysantheme. Ich kenn doch die Chrysantheme – hier, allerdings aus Papier, aus Kunst, aber das macht nichts, denn es sind ja Chrysanthemen –
MÜLLER laut:
Ich bezweifle, daß sie simuliert.
Stille.
EMANUEL
Eigentlich müßte man nachsehen, selbst wenn sie simulieren sollte.
STRASSER beugt sich über sie:
Dann erst recht.
MÜLLER beugt sich auch über sie:
Hoppla, Blut!
KARL grinst:
Das Auge geschlossen. Und ausgezählt.
MAX
K. o.?
EMANUEL
Nur kein Blut! Sonst wird mir übel.
MÜLLER
Keine Sorge!
STRASSER zündet sich eine Zigarette an:
Nur geritzt.
EMANUEL
Blut bleibt Blut.
MAX schwätzt wieder:
Chrysantheme bleibt Chrysantheme. Gong. Zwote Runde. Der blonde Neger fightet los. Mörderisch. Serie. Serienmörderisch. Das Favoritenauge schließt sich, achte Runde, obwohl er klar nach Punkten führt. Jedoch ein geschlossenes Auge kostet den blauen Gürtel der Meisterschaft, der Vereinsweltmeisterschaft, obzwar es ja auch ein lila Gürtel gewesen sein mag – überhaupt diese Weltmeisterschaft! Eins, zwo, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf!
Er hebt den Strauß. Christine wimmert; zuckt; schlägt mit den Armen auf das Parkett. Emanuel, Karl, Müller zogen sich etwas zurück, ins Halbdunkle. Strasser steht hinter Christine.
CHRISTINE stützt sich schwerfällig empor, kauert und sieht scheu, verstört um sich; sie blutet über dem linken Auge.