Der Freischütz (C. M. v. Weber)

Der Freischütz

romantische Oper in 3 Akten von Carl Maria von Weber.
Text von Johann Friedrich Kind…

PERSONEN: Ottokar, böhm. Fürst (Bariton) –
Kuno, fürstlicher Erbförster (Bass) –
Agathe, seine Tochter (Sopran) –
Ännchen, eine junge Verwandte (Sopran) –
Kaspar, erster Jägerbursche (Bass) –
Max, zweiter Jägerbursche (Tenor) –
Ein Eremit (Bass) –
Kilian, ein reicher Bauer (Bariton) –
Vier Brautjungfern (Soprane) –
Samiel, der schwarze Jäger (Sprechrolle) –
Fürstliche Jäger und Gefolge, Bauern, Bäuerinnen, Schenkmädchen, Erscheinungen u.a.
ORT UND ZEIT: Böhmen, kurz nach Ende des Dreißigjährigen Krieges.
SPIELDAUER: ca. 2 Stunden 20 Minuten (1. Akt: ca. 50 min.; 2. Akt: ca. 45 min.; 3. Akt: ca. 45 min.).

Daniela Bechly und Katharina Warken, Der Freischütz 1998

Daniela Bechly und Katharina Warken, Der Freischütz 1998

1. Akt. Vor einer Waldschenke wird Max, der beim Preisschießen leer ausgegangen ist, von Kilian, dem Sieger, gehänselt (Schau der Herr mich an als König!). Kuno trennt die Streitenden und führt Max die Wichtigkeit des Probeschusses am folgenden Tag vor Augen, bei dessen Gelingen ihm die Erbförsterei übertragen werde und er Kunos Tochter Agathe heiraten dürfe. Max, der Agathe seit langem liebt, wird von Zweifeln gequält, ob ihm der Schuss gelingt (Terzett Oh, diese Sonne), er fühlt sich von dunklen Mächten umgarnt (Rezitativ und Arie Nein, länger trag ich nicht die Qualen . . . Durch die Wälder, durch die Auen). Der finstere Kaspar lädt den widerstrebenden Max zum Trinken ein (Hier im ird’schen Jammertal) und weist ihm einen Weg, wie er immer treffen könne: durch »geheime Kräfte der Natur«. Zum Beweis lässt er Max mit Kaspars Büchse auf den größten Steinadler zielen. Max trifft, kaum dass er richtig angelegt hat. Agathe vor Augen willigt er widerstrebend ein, sich um Mitternacht in der verrufenen Wolfsschlucht bei Kaspar einzufinden, um selbst eine solche treffsichere Freikugel zu erhalten. Kaspar verpflichtet ihn zu striktem Schweigen (Schweig, damit dich niemand warnt!) und triumphiert: Weil Agathe ihn, Kaspar, abgewiesen hat, soll Max das Opfer von Höllengeistern werden.

Sèbastien Jacobi + Rainer Zaun Zwingenberg 1998

Sèbastien Jacobi + Rainer Zaun Zwingenberg 1998

2. Akt. Im Forsthaus versucht Ännchen alles, mit heiteren Ideen Agathe, die von unbestimmten trüben Ahnungen verfolgt wird, aufzuheitern (Kommt ein schlanker Bursch gegangen). Bevor sie sich zur Ruhe begibt, erwartet Agathe ihren Max (Wie nahte mir der Schlummer), der verwirrt und erschreckt wirkt, auch rasch wieder aufbricht, weil er in die Wolfsschlucht müsse, um einen erlegten Hirsch zu bergen. Ihn des Nachts in dieser »Schreckensschlucht« zu wissen, erfüllt Agathe und Ännchen mit banger Sorge (Terzett Wie? Was? Entsetzen!). – In der Schlucht sind unheildrohende Zauberformeln unsichtbarer Geister bei bleichem Vollmond zu hören, Kaspar ruft Samiel herbei. Er will ihm Max als neues Opfer zuführen, um so sein eigenes an den »schwarzen Jäger« verpfändetes Leben zu retten. Sechs treffsichere Freikugeln soll Max dafür erhalten, eine Siebente aber soll Samiel lenken – auf Agathe, wünscht Kaspar. Max betritt den Rand der Schlucht. Ihm erscheint seine tote Mutter als warnendes Bild, aber auch eine verzweifelte Agathe – er steigt zu Kaspar hinab, der die Freikugeln am offenen Feuer unter Zaubersprüchen zu gießen beginnt. Von Kugel zu Kugel steigert sich eine Grauen erregende Bewegung in der Natur. Bei der Siebenten tobt ein Sturm und bebt die Erde, Samiel erscheint, der Blitz schlägt ein – und Stille. Die beiden Jäger liegen wie tot am Boden.
Sèbastien Jacobi + Rainer Zaun Zwingenberg 1998

Rainer Zaun als Kaspar, Freischütz 1998

Rainer Zaun als Kaspar, Freischütz 1998

3. Akt. Max hat bei der Probe bereits drei gute Schüsse getan. Er bittet Kaspar, ihm die restlichen Freikugeln zu überlassen, doch Kaspar weigert sich, verbraucht höhnisch alle Kugeln bis auf die Letzte, damit Max seinen Probeschuss mit der siebenten, der Samiel geweihten Kugel absolvieren muss. – Agathe, schon im Brautkleid, sucht Beruhigung im Vertrauen auf Gott (Und ob die Wolke sie verhülle), Ännchen dagegen hofft, sie durch eine Gruselgeschichte, in der sich ein Ungeheuer als der Kettenhund Nero herausstellt, aufzuheitern (Einst träumte meiner sel’gen Base). Die bedrückende Atmosphäre können auch die Brautjungfern nicht verjagen (Wir winden dir den Jungfernkranz), und als Ännchen die Schachtel mit dem Brautkranz öffnet, findet sie eine Totenkrone. Aus den Rosen, die ein Eremit Agathe gegeben hat, windet Ännchen rasch einen frischen Kranz. – Die Jäger haben sich auf dem Schießplatz im Wald eingefunden; Kaspar schaut von einem Baum herab zu (Chor Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen?). Fürst Ottokar bestimmt eine weiße Taube als Ziel für den Probeschuss. Als Max schießt, schreit Agathe auf: »Schieß nicht! Ich bin die Taube!« Im gleichen Moment fällt Kaspar vom Baum, Agathe sinkt ohnmächtig nieder. Max hat Kaspar getroffen. Mit einem Fluch auf den Himmel und Samiel stirbt dieser. Max muss dem Fürsten bekennen, dass er sich Kaspar und dessen bösem Zauber verschrieben hatte und Freikugeln benutzte. Ottokar will ihn zornig des Landes verweisen, so sehr auch Agathe, Kuno und die Jäger für ihn um Nachsicht bitten. Doch letztlich kann der Eremit den Fürsten überzeugen, dass nicht ein einziger Schuss über die Zukunft zweier Menschen entscheiden darf. Max wird ein Probejahr bewilligt, in dem er sich bewähren kann, bevor er Agathe heiraten und die Försterei übernehmen darf.
Rainer Zaun als Kaspar, Freischütz 1998

Seit 1817 arbeitete Weber gemeinsam mit Johann Friedrich Kind am Freischütz. Er war im Januar dieses Jahres vom Sachsenkönig Friedrich August III. zum Leiter der Deutschen Oper verpflichtet worden. Hier in Dresden waren durch den Komponisten Johann Gottlieb Naumann, der in seinen letzten Opern die Schematik der Opera seria durchbrochen hatte, sowie Kreise um den vaterländisch-freiheitlichen Schriftsteller Theodor Körner (Weber hatte einige von dessen Leyer und Schwert-Gedichten vertont) Voraussetzungen und ein geistiges Klima für eine dt. Nationaloper geschaffen worden.
Kind, der in seinem Freischützbuch schildert, wie er bereits auf der Thomasschule mit Johann August Apel (1771-1816) die Geschichte in einem alten Folianten entdeckt habe, entnahm den Stoff in Wirklichkeit dem 1810 erschienenen Gespensterbuch von Apel und Friedrich Laun (1770-1849) sowie Apels Novelle Der Freischütz. Apel und Laun dienten wiederum die Unterredungen von dem Reiche der Geister zwischen Andrenio und Pneumatophilo, 1730 in Leipzig erschienen, als Hauptquelle; u.a. findet sich darin ein Bericht über den böhm. Schreiber Georg Schmid, der unter Foltern den Gebrauch von Freikugeln gestanden hat. Innerhalb der Gattung wurde als direkter Vorwurf zu Kinds Libretto Franz Xaver von Caspars Text Der Freischütze nachgewiesen, der 1813 in München mit der Musik von Carl B. Neuner aufgeführt worden ist. Bereits bei Caspar finden sich die Figur des Eremiten, der gute Ausgang der Handlung sowie der zugespitzte Konflikt zwischen Gut und Böse. Übrigens gab es 1818 in Wien die Aufführung einer weiteren Freischütz-Oper mit Musik von F. Rosenau und dem Text von J. A. Gleich. Auch Weber hatte bereits auf seiner Wanderschaft durch Deutschland auf Schloss Neuburg bei Heidelberg 1810 das Gespensterbuch Apels und Launs kennen gelernt und begeistert ein Opernszenario entworfen, das er allerdings nicht weiterverfolgte.
Weber begann im Sommer 1817 mit seiner Komposition und schloss sie im Mai 1820 ab; einzig die Arie des Ännchens (Einst träumte meiner sel’gen Base), der »zum Biedermeierkousinchen gewordenen serva padrona« (Adorno), entstand im Juni 1821 unmittelbar während der Vorbereitungen zur Uraufführung auf Wunsch der Sängerin nach einer zweiten großen Arie (neben Kommt ein schlanker Bursch).
Nach Theodor W. Adorno hat der Freischütz »mit größerem Recht als die Meistersinger« als dt. Nationaloper zu gelten, »denn das deutsche Element setzt sich darin nicht als solches, kompromittiert sich nicht durch nationalistische Gesinnung«. Aus dem dt. Singspiel mit seinem charakteristischen Wechsel von Musiknummern und gesprochenem Dialog entwickelte Weber seine Vorstellung der romantischen Oper als einem Kunstwerk, »wo alle Teile und Beiträge der verwandten und benutzten Künste ineinander verschmelzend verschwinden und – auf eine gewisse Weise untergehend – eine neue Welt bilden«. Musikalisch setzte er vor allem in den Gesangsszenen neue Formen ein, z.B. in der Wolfsschlucht mit ihrer dramatisch effektvollen Verbindung reiner Musikteile mit gesprochenen Passagen und Melodram, und schuf eine tief naturverbunden, zugleich unheilvoll und schauerlich wirkende Musik. Die lichten und dunklen Seiten der Romantik finden sich in der liedhaften, volkstümlich gewordenen Kirmesmusik, dem »Viktoria«-Chor, Kilians Spottlied, dem Walzer der Bauern, Ännchens Kommt ein schlanker Bursch gegangen, vor allem aber im Gesang der Jungfern (Wir winden dir den Jungfernkranz) und im Jägerchor sowie in einer Instrumentation und Klangfarbendramaturgie, der es gelingt, poetisch gestaltete Momentaufnahmen zu zerklüfteten Seelenlandschaften zu erweitern. Mit feinsten Schattierungsmitteln psychologischer Darstellungskunst ist Agathe in ihrer Szene und Arie Wie nahte mir der Schlummer gezeichnet: eine nicht in strenge Formen gegossene fortlaufende Schilderung heftigster innerer Bewegungen. Auch Maxens Durch die Wälder, durch die Auen zeigt den durch selbstquälende Reflexionen leidenden Jäger, dessen »Lebt kein Gott?« Hans Mayer als Angstschreie kennzeichnete, während Kaspars Hier im ird’schen Jammertal der pfeifend-aufbrausende Triumphgesang des Bösen schlechthin ist. Vergleichsweise harmlos nimmt sich die Wolfsschlucht als eine Reihung schauerlicher, grell illustrierter Bilder aus, bedeutet historisch aber eine grandiose Umformung des traditionellen 2.-Akt- Finales mit Chor und Solisten.
Ein Meisterstück hintergründiger atmosphärischer Verdichtung ist die zuletzt komponierte Ouvertüre. Weber gestand: »Auf die Ouvertüre bilde ich mir etwas ein; wer zu hören versteht, wird die ganze Oper in nuce darin finden.« Keine Potpourri-Ouvertüre im gewohnten Sinne, nimmt dieses Musikstück die Oper vorweg, breitet – durch die Idyllik der Hörnermelodie und die Klarinettenfarben – die Faszinationskraft des Naturbildes aus, um dieses bald in eine Ebene »finsterer Mächte« zu überführen, und erlaubt erst am Schluss einen befreienden Jubelaufschwung. Weber stellt die individuelle Farbe der einzelnen Orchestergruppen heraus, formt das bis heute gültige romantische Orchesterbild schlechthin und macht, wie nach ihm erst wieder Wagner, das Orchester zum Brennspiegel psychologischer Zusammenhänge.
Die Uraufführung unter der Leitung des Komponisten, der sich außerdem um Dekorationen und Beleuchtungseffekte kümmerte, wurde zum triumphalen Erfolg, zugleich zum Durchbruch für die dt. nationale Oper. Bald wurde das Werk populär – ein natürlich auch von suspekten Freischütz-Moden und Parodien begleiteter Vorgang – und bewundert, so von Beethoven, Wagner, Heine und Berlioz, der 1841 für eine Pariser Aufführung Rezitative komponierte. Die Freischützfassung mit den Berlioz‘ Rezitativen wurde in Deutschland erstmals 1997 in Dortmund (Daniel Kleiner, Wolfgang Mehring) aufgeführt.