Der Blaue Boll (Ernst Barlach)

Der Blaue Boll

Inhaltsangabe

Der wohlhabende Gutsbesitzer Kurt Boll kommt an einem nebligen Morgen mit seiner Frau Martha in die Kleinstadt, um allerlei Besorgungen zu erledigen; später will er sich mit seinem Nachbarn, dem Gutsbesitzer Otto Prunkhorst, zum Essen treffen. Boll, ungemein vital, kraftstrotzend, zum Teil grüblerisch veranlagt, weiß von seiner „Neigung zu Blutandrang und Schwindel“, rauschhaften Zuständen und häufiger „blauer“ Gesichtsfarbe; er ist schlagflüssig. Die flüchtige Begegnung mit der jungen, sinnlichen Grete, Frau des Schweinehirten Grüntal, die von ihren Verwandten als Hexe verdächtigt wird, weil sie manchmal „wieder ihre Gedanken hat“ und sich von allem Fleischlichen lösen will („drei Seelen hab‘ ich ins verfluchte Fleisch gebracht“), verursacht bei ihm wieder einen so starken physisch-psychischen Schub, daß er vollkommen aus seiner angestammten bürgerlichen Rolle heraustritt. Boll spürt, daß er ein anderer ist, daß er ein anderer werden muß: Er steht plötzlich neben sich, wird zu seinem Doppelgänger („Boll bringt Boll um“), entfremdet von sich und seiner Umgebung. In einer Art Kindersprache objektiviert er seine Empfindungen und Handlungen: „Boll hat so gemußt . . .“

Von Grete angezogen, folgt er ihr auf den nahe gelegenen Kirchturm. Grete gesteht ihm, daß sie sich und ihre drei Kinder töten will; sie überredet ihn, ihr das Gift zu besorgen. Erst in dem Gästezimmer des teuflischen Wirts Elias, wo sie der Hölle und dem Tod gegenübertritt, erkennt sie das Verwerfliche ihrer geplanten Tat. Nun hofft sie, Boll, der sich vergeblich um das Gift bemüht hatte, werde sie retten; doch sie fällt in Ohnmacht. Boll trägt sie wieder zurück in die Kirche und legt die Schlafende auf eine Bank unter einen hölzernen Apostel. Von seinem Anfall genesen, erlöst er somit die ebenfalls allen Anfechtungen entronnene Grete, die nun zu ihrer Familie heimkehren kann. Bolls Veränderung wird in einem Gespräch zwischen ihm und einem merkwürdigen klumpfüßigen Herrn („der Herrgott selbst, einfach als pilgernder Mensch“) zur Läuterung und inneren Wandlung: „Boll hat mit Boll gerungen, Boll hat Boll gerichtet und er, der andere, der neue, hat sich behauptet.“

Der neue, andere Boll ist der, der zu sich selbst gekommen ist; so handelt dieses Drama vom „Werden“, vom Prozeß einer Identitätssuche zwischen dem im Fleischlichen gefangenen Leben und der Erlösung durch einen allmächtigen Gottvater. Des Bürgermeisters Kommentar („Es bereitet sich unmerklich im Dunkel des persönlichen Erlebens manches Geschehen vor.“) zielt auf diese Grundthematik des Autors.

Bild: Petra M. Weimer, Michael Rademacher, Ellen Rathsack, Karlsruhe 1990

Bild: Petra M. Weimer, Michael Rademacher, Ellen Rathsack, Karlsruhe 1990