Besucher (Botho Strauß)

Besucher (Botho Strauß)

Max, ein mittelmäßiger Schauspieler, hat Probleme mit sich selbst und seiner Rolle. Und so kommt es während einer Theaterprobe, in der er dem berühmten alten Schauspieler Karl Joseph gegenübersteht und sich wieder einmal nicht in seinem Part zurechtfindet, zu einer Debatte über das Theater schlechthin, das Max „von den Übeln des kranken Realismus befreien“ will: „Was wir brauchen, ist wieder ein revolutionäres Gefühl, eine Aufbruchstimmung.“ Der Alte dagegen, immer noch vom Ruhm der Nachkriegsjahre zehrend, will „realistisch“ bleiben, „meinetwegen bis sie unten alle eingeschlafen sind“. Die Probe an dem Stück, in dem es um einen ins Zwielicht geratenen Genetikprofessor geht, wird aber auch vom Pförtner unterbrochen, der plötzlich durch das Bühnenbild läuft und sich über Walkie-Talkie mit seiner Frau unterhält. Diese fürchtet sich vor „blinden Besuchern, die sich zwischen den Kostümen verstecken, und plötzlich stehen sie abends mit auf der Bühne“.

Probleme mit der eigenen Rolle hat auch die alternde Diva Edna Gruber. Sie, die schon seit Jahren ein alternatives Leben auf dem Lande führt, sieht sich nicht mehr in der Lage, eine Frau zu spielen, „die Tierexperimente verteidigt“. – Der zweite Akt beginnt mit dem Ende einer Fernseh-Talkrunde, zu der Max nur aufgrund einer Namensverwechslung eingeladen wurde, und in der er sich in angetrunkenem Zustand ziemlich blamiert hat. Während der nächsten Theaterprobe wird ihm seine Rolle entzogen. Da taucht er plötzlich als Zuschauer des Stückes auf, in dem seine eigene Geschichte gespielt wird: „Ich gehe ins Theater, um mir die Sorgen zu vertreiben. Was sehe ich aber auf der Bühne: haargenau meine Sorgen.“

Der dritte Akt spielt auf einem verlassenen Jahrmarkt, wo Max skurrilen Gestalten begegnet: etwa dem Wurfbudenmann, der einsam die Stellung bis zur nächsten Kirmes hält und in dem sich Max wiederzuerkennen glaubt, oder dem Mann mit Lautsprecherstab, dem nur die Stimme seiner Geliebten geblieben ist. Hier trifft er aber auch Figuren wieder, die in den beiden ersten Akten eine Rolle gespielt haben: seine Freundin Lena, die Arm in Arm mit seinem eigenen Double daherkommt, die Blinde, die in Wirklichkeit gar nicht blind, sondern Schauspielerin ist, Edna Gruber, der es gelingt, Max wieder zu seiner Rolle zu verhelfen. Das Stück endet, wie es begonnen hat – auf der Bühne eines Theaters, wo ein Stück geprobt wird.

"Besucher" von Botho Strauß in Karlsruhe 1989 Jörg Ratjen + Friedhelm Becker

Die Figuren geraten mit ihren Rollen als Schauspieler und ihren Rollen im „richtigen“ Leben durcheinander. Eine Komödie, die als kunstvoll gebautes Vexierspiel zwischen Theater und Wirklichkeit jongliert. Dabei wird die Grenze zwischen den unterschiedlichen Spielebenen – dem Stück im Stück und dem Leben jenseits des Theaters – im Laufe der drei Akte immer fließender und zunehmend von surrealen Traumsequenzen überlagert. Zugleich aber liefert S. hier in gewohnter Manier ein Stück bundesrepublikanische Wirklichkeit, diesmal angesiedelt im Theater- und Kulturbetrieb, der sich verzweifelt um Sinnstiftung bemüht.